Ja, wo kaufen Sie denn?
Möbel online im Internet bestellen? Ohne probesitzen, anfassen und vergleichen? Für viele undenkbar. Sie werfen sich lieber in die Kissen, wie Loriot in seinem legendären TV-Sketch zum Bettenkauf. Und lauschen dabei den Worten eines Fachverkäufers: „Die Federmuffen sind einzeln aufgehängt und kreuzweise verspannt“, schrieb Vicco von Bülow seinem Herrn Hallmackenreuther 1977 ins Drehbuch. „Ach was“, möchte man darauf erwidern – ganz im Duktus des beliebten deutschen Humoristen. Hat doch gerade die Matratzenbranche in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es auch anders geht.
Internetanbieter wie Bett1 und Emma jagten den traditionellen Händlern Kunden ab und setzten sie massiv unter Preisdruck. Statt in voller Montur auf einem Ausstellungsstück herumzurutschen können Online-Käufer ihre Matratzen zu Hause ausprobieren – wenn’s sein muss wochenlang – und bei Nichtgefallen einfach zurückgeben. Kostenlose Abholung inklusive. Gut 18 Prozent ihres Umsatzes wickelt die Möbelbranche hierzulande übers Internet ab. In den nächsten vier Jahren soll der Anteil auf mindestens 25 Prozent steigen, schätzt der Verband der Deutschen Möbelindustrie. Dazu braucht es keine Pandemie. Auch ohne Lockdown merken die Leute, dass Möbel sich ebenso gut online bestellen lassen wie Waschmaschinen und Designer-Handtaschen.
Worin das besondere Einkaufserlebnis bestehen soll, die Einrichtung im Laden auszusuchen, hat sich mir noch nie erschlossen. Zur Inspiration taugen Magazine und einschlägige Webseiten besser. Keine Großfläche im Möbelhaus bietet so viel Auswahl. Im Gegenteil: Sie behindert eher den Blick aufs Wesentliche – mit Polstersitzgruppen, die manchmal wie Designunfälle wirken und dort nur auf die nächste Rabattaktion mit 50, 60 oder 70 Prozent zu warten scheinen. Allein: Wenn es um Maßanfertigungen geht, führt kein Weg am Fachhandel vorbei. Das dachte ich zumindest, bis mir auf Instagram ein Werbebanner von Tylko begegnete.
Das Warschauer Start-up-Unternehmen hat sich auf Regale und Kleiderschränke spezialisiert. Der Online-Konfigurator ist ein Traum. Aus drei Produktlinien, diversen Farben und Materialien stellt man am Bildschirm sein Wunschmöbel auf den Zentimeter genau zusammen. Ein Algorithmus sorgt dafür, dass Fächer, Fronten und Schubladen von selbst ein Raster bilden, das den verfügbaren Platz intelligent ausfüllt. Parametrisches Design nennt der Hersteller dieses Prinzip. Kommt es zur Bestellung, überträgt der Konfigurator die Daten an einen computergesteuerten Maschinenpark in Polen, wo automatisiert die Einzelteile entstehen. Alle Elemente lassen sich später über Steckverbinder zusammenfügen.
Als Kind der Generation Ikea bin ich an Aufbaumöbel gewöhnt. Wir haben schon Billy-Regale zusammengezimmert, als Telefone noch Wählscheiben hatten. Deshalb entschied ich mich gegen den kostenpflichtigen Montageservice von Tylko. Er hätte die Bestellung um 250 Euro verteuert. So schlug das 274 Zentimeter breite Sideboard mit 850 Euro zu Buche. Eine Bestå-Kombination von Ikea hätte ein Viertel gekostet, wäre allerdings um 34 cm zu kurz geraten, weil das Größenraster der Schweden keine passende Kombination zulässt. Die Konfiguration in Zentimeterschritten macht ja gerade den Reiz des Tylko-Systems aus.
Muster mit verschiedenen Oberflächen hätte es für zehn Euro gegeben. Aber die polnische Möbelindustrie ist der drittgrößte Exporteur in Europa und der sechstgrößte weltweit. Außerdem gewährt Tylko 100 Tage Rückgaberecht. Was kann da schon schiefgehen? Dasselbe wie bei jeder anderen Online-Bestellung. In meinem Fall: Die Sendung bleibt im Lager liegen, dann wird nur ein Teil der acht Pakete zugestellt, der Lieferdienst trägt die schweren Kartons nicht bis in den zweiten Stock. Und eigentlich möchte man auf seiner Mithilfe auch gar nicht bestehen, weil chronisch unterbezahlte Paketboten ohnehin schon die Zeche für den wachsenden E-Commerce-Erfolg bezahlen.
Abgesehen vom schlechten Gewissen bin ich mit meiner Maßanfertigung aber sehr zufrieden. Die weiß beschichtete Spanplatte und die Schubkästen aus Sperrholz mit Softeinzug machen einen soliden Eindruck. Für höhere Qualität müsste ich bei einer Möbelmanufaktur deutlich mehr Geld hinlegen, bekäme aber auch mehr Aufmerksamkeit und individuellen Service. Oder wie es Loriot in seinem TV-Sketch anekdotisch ausdrückt: „Wenn meine Gattin aufwacht, nimmt sie gerne eine Tasse Tee mit etwas Gebäck.“