Stilprägend
Die 1970er-Jahre waren eine geile Zeit. Zumindest für Jungs wie mich, die damals ihre Leidenschaft für HiFi-Apparate entdeckten. Mein Großvater hatte diese Kombination von Sony – Tuner und Verstärker – mit Aluminium-Fronten, die fast einen Zentimeter dick waren. Ihre Kippschalter rasteten mit einem satten „Klack“ ein, das ich so nie wieder gehört habe. Der Lautstärkeregler drehte sich sämig wie ein Honiglöffel im Glas und die Sendernadel konnte man dank Schwungmasse mit einem Dreh über die grün illuminierte Skala des Tuners jagen – durfte sich dabei aber vom Opa nicht erwischen lassen, weil die Geräte für damalige Verhältnisse ein Vermögen kosteten.
High Fidelity „Made in Japan“ wurde stilprägend für eine ganze Generation. Nicht die späten Produkte aus den 80er- oder 90er-Jahren, deren überladenes Design mit bunten Leuchtdioden den Beinamen „Tokio bei Nacht“ bekam. Ich meine die frühen Komponenten, mit denen Sony, aber auch Kenwood, Pioneer, Onkyo, Technics und Yamaha zunächst den Markt aufrollten. Das waren Geräte, die nicht nur beeindruckend aussahen, sondern auch so klangen. Während deutsche Anbieter an der überholten HiFi-Norm DIN 45500 festhielten und Käufern weismachen wollten, dass 15 Watt Verstärkerleistung mehr als genug seien, waren 50 Watt und mehr pro Kanal bei den Japanern bereits selbstverständlich. Sie beharrten auch nicht auf DIN-Steckern, mit denen Braun, Grundig, Telefunken und Co. ihre Kundschaft bis in die 80er drangsalierten. An den Fehlern deutscher HiFi-Firmen ließe sich beispielhaft der Niedergang vieler Branchen festmachen, aber das soll nicht Thema dieser Kolumne sein.
Es geht vielmehr um die Strahlkraft, die bis heute von einem Verstärker mit massiver, gebürsteter Aluminiumfront ausgeht. Da ist viel Nostalgie im Spiel und Erinnerung an eine Zeit, als Unterhaltungselektronik hoch im Kurs stand. Unser Steve Jobs hieß Akio Morita. Nicht, weil Sonys Mitbegründer auch nur annähernd so bekannt gewesen wäre wie der Apple-Chef, sondern weil sein Unternehmen uns innovative Produkte bescherte: den ersten Video-Kassettenrekorder, den Walkman, die Audio-CD. Viele Gerätekategorien sind mittlerweile auf dem Elektroschrottplatz der Geschichte gelandet. Der Fortschritt hat sie verdrängt und durch Mini-Computer wie das Smartphone ersetzt. Gleichzeitig riss er ein Loch in die Seele vieler HiFi-Fans, das nur durch Haptik gefüllt werden kann. Endlich wieder das kühle Metall eines Volume-Reglers fühlen, den tanzenden Zeigern der Aussteuerungsinstrumente zuschauen.
Diesen Wunsch verspüren offenbar viele Menschen, wie die Preise auf dem Gebrauchtmarkt zeigen. Manche Geräte-Ikonen kosten inflationsbereinigt so viel wie damals. Oder mehr, denn die Generalüberholung ist teuer. Was „für die Ewigkeit gebaut“ scheint, unterliegt trotzdem einem gewissen Verschleiß. Elektronische Bauteile altern, Potenziometer oxidieren und produzieren Kratzgeräusche beim Drehen. Vintage-HiFi aus zweiter oder dritter Hand ist deshalb mit Risiken verbunden. Doch es gibt Hersteller, die ihr Erbe pflegen und weiter Geräte auf den Markt bringen. Yamaha gehört dazu, wie der Stereo-Vollverstärker im Bild beweist; ein 25 Kilo schwerer Bolide der 6500-Euro-Klasse, ganz im Stil der guten alten Zeit. Technics hat für sein Topmodell gerade den IF-Design-Award bekommen. Der silberne Koloss für 7500 Euro könnte auch einem Katalog der Siebzigerjahre entsprungen sein. Retro-Look ist en vogue in der HiFi-Branche – oder dem, was davon übrig ist.
Und heute wie damals haben die Produkte ihren Preis. Kompromissloser Klang, hochwertige Materialien und Langlebigkeit kommen nicht von ungefähr. Das war mit Beginn des Digitalzeitalters in Vergessenheit geraten. Aktuelle Debatten um Wegwerf-Elektronik und Ressourcenverbrauch bringen die Erkenntnis nun ins Bewusstsein zurück – und nähren den Wunsch, dass traditionelle Audiogeräte auch die nächsten 50 Jahre überdauern mögen.