Fit für die Zukunft
Die Selbstoptimierung boomt. In einer Welt, in der Kriegsparteien einander die Lebensgrundlagen wegbomben; in der Klimawandel den Rest davon ruiniert, ohne dass Lobbygruppen auch nur einen Teil ihrer Privilegien abgeben – in so einer Welt ist das Gefühl, zumindest an sich selbst etwas zu bewirken wie Balsam für die Seele. Sei es durch Überwindung des inneren Schweinehunds beim Sport. Durch extrem frühes Aufstehen und Yoga am Morgen, gefolgt von Chia-Samen-Müsli, das mit seinen Antioxidantien freie Radikale im Körper einfängt. Oder durch ausgeklügelte Kleiderwahl und Sprechtraining vor dem Spiegel, die jede Präsentation von Quartalszahlen zu einem Triumph des Willens und zu einem Akt der Selbstermächtigung machen.
Sie merken es vielleicht: Dieser Text kann Spuren von Sarkasmus enthalten. Ich bin es leid, Kontaktanfragen von Coaches auf LinkedIn abzulehnen, die mir dabei helfen möchten, zur besten Version meiner selbst zu werden. Auf YouTube muss ich dauernd Spots von Ernährungsberatern und Finanzgurus wegklicken, die mir einreden wollen, dass nur ihr Webinar mich noch von den Schönen und Reichen dieser Welt trennt. Die App-Empfehlungen auf dem Smartphone sind voll von Kalorienzählern, Fitness-Pals und Meditationsprogrammen. Ein Tag ohne Gehirnjogging oder Intervallfasten löst nicht nur schlechtes Gewissen bei mir aus, sondern droht auch den Körper einem plötzlichen Zelltod näherzubringen. Man muss kein Kapitalismuskritiker sein, um neoliberales Gedankengut in all diesen Heilsversprechen zu entdecken. Das Leistungsprinzip und Vergleiche mit anderen sind – nicht zuletzt dank sozialer Netzwerke – zu einem Gradmesser für persönliches Glück geworden. Ich-AG statt Wir-Gefühl: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.
Deshalb hatte ich etwas Mühe, mich mit dem Motto dieser Ausgabe anzufreunden. „Selfness“ bedeutet Arbeit an sich selbst, mit dem Ziel sein Leben zu optimieren. Trendforscher Matthias Horx hat den Begriff 2002 geprägt, als Gegenentwurf zur damals boomenden Wellness-Idee. Statt passiv massiert, bedampft und bekocht zu sein, lautete das Ideal nun, selbst aktiv zu werden. Ein Trend, der in der Pandemie seinen Höhepunkt erreichte. Allerdings wäre es langsam an der Zeit, den Fokus solcher Aktivitäten auszuweiten – vom persönlichen Vorteil aufs Gemeinwohl. Das von Horx gegründete Zukunftsinstitut ruft eine neue Wir-Kultur aus: „Auf die Ära der Selbstoptimierung folgt die Epoche der Resonanz“, heißt es in der jüngsten Trendstudie „Zukunftskraft Resilienz“. Eine Bewältigung multipler Krisen könne nur gelingen, „wenn der Mensch sich wieder als soziales Wesen begreift“. Die Apps dazu gibt es bereits: „Vinted“ als Marktplatz für Second-Hand-Mode etwa. Mitfahr-Programme wie „BlaBlaCar“ oder „Twogo“, die helfen CO2-Emissionen zu vermeiden. „Too Good To Go“, das übrig gebliebene Lebensmittel aus Restaurants und Gastronomie vermittelt. Oder „Fainin“ zum versicherten Ausleihen von Werkzeugen, Sport- und Elektronikgeräten. Keine davon hat es bislang in die Empfehlungslisten meines App-Stores geschafft. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.