Es gibt sie noch, die guten Dinge
Der Einzelhandel in Deutschland tut sich schwer. Das zeigt sich an vielen Innenstädten. Nehmen wir Stuttgart. Egal, ob Königstraße, Calwer Passage, Europaviertel oder Dorotheenquartier: In vermeintlichen Toplagen scheint nur noch zweierlei zu funktionieren: luxuriös oder billig. Die lokalen, inhabergeführten Geschäfte sind verschwunden und haben globalen Ketten Platz gemacht. Wo es früher Lederartikel, Kurzwaren oder Wäsche mit Beratung gab, bringen heute Louis Vuitton, Nespresso, Zara und Primark ihre Selbstläufer unters Volk. International agierende Marken, die das hohe Mietniveau nicht schreckt.
Doch auch in weniger frequentierten Lagen sind die Einkaufsquellen versiegt. Ein Beispiel aus der Praxis: Für die Ellenbogen meines schottischen Wollpullovers habe ich sogenannte Patches gesucht, ovale Flicken, die das fadenscheinige Gestrick an dieser Stelle mit neuem, hochwertigem Stoff kaschieren. Von hochwertig kann inzwischen aber kaum noch die Rede sein. Wer überhaupt solche Patches anbietet, scheint sie von Firmen wie Prym zu beziehen, dem laut Stiftung Familienunternehmen zweitältesten Betrieb dieser Gattung in Deutschland. Allerdings schützt Alter nicht vor Stillosigkeit, wie all die Flicken zum Aufbügeln aus Veloursleder-Imitat und anderem billigem Material zeigen. Selbst in einschlägigen Online-Shops wie Nähkaufhaus.de und Kurzwarenland.de oder auf Amazon scheint Prym ein Monopol auf diese Produkte zu haben. Das stellte ich fest, nachdem ich mir im Stuttgarter Talkessel die Hacken abgelaufen hatte, um ein entsprechendes Geschäft zu finden. Selbst Manufactum, nach eigenem Bekunden das „Warenhaus der guten Dinge“ hat die Marktlücke nicht erkannt: Alle Patches, die es dort zu entdecken gibt, sind bereits auf Sakkos aus schottischem Harris-Tweed aufgenäht.
Schließlich wende ich mich Etsy zu. Der Online-Marktplatz etsy.com, 2005 in New York gegründet, ist eine Fundgrube für handgemachte Produkte. Kleinstunternehmen und Künstler aus aller Welt bieten hier ihre Kreationen an. So auch Susan und ihre Tochter aus Bristol in England. Die beiden stellen hochwertige Patches aus Kaschmir und Harris-Tweed her. Derart schön, dass sie Pullover oder Strickjacken nicht nur reparieren, sondern stilistisch auf ein neues Niveau heben. Ganz britisch eben. Nach der ersten Begeisterung habe ich gleich nachbestellt – und dabei die Grenzen des globalen Handelns erfahren. Denn Etsy schlägt bei Bestellungen außerhalb des EU-Wirtschaftsraums zwar Einfuhrumsatzsteuer auf die Rechnung drauf. Das verhindert aber nicht, dass der Postbote bei Zustellung diese 19 Prozent mitunter noch einmal kassiert – zuzüglich sechs Euro Bearbeitungsgebühr. Zu viel bezahltes Geld über DHL, den Zoll oder Etsy zurückzubekommen ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Auch das haben wir dem Brexit zu verdanken. Die gute Nachricht: Es gibt alternative Anbieter auf Etsy, die ihren Sitz in der EU haben. Aber die Patches von Susan aus Bristol sind einfach die schönsten.