Kolumne #20: Deutsche Innovationskraft

Vorsprung durch Technik?

Technik inspiriert mich. Ich gehöre zu den Menschen, die ihren Fahrschein für die Pariser Metro aufs Smartphone laden und jeden Café au Lait kontaktlos bezahlen. Die von einem Smarthome mit Musik und aufdimmendem Licht geweckt werden, um sich anschließend bei der Arbeit von KI unter die Arme greifen zu lassen. Warum? Weil ich gerne Dinge ausprobiere. Und weil es gar nicht anders geht. Wer weiß, wie lange ich noch Texte wie diesen hier schreiben werde. Das Berufsmodell des Journalisten steht ebenso infrage wie andere sicher geglaubte Karrieren im Digitalzeitalter.

Diese Kolumne erschien zuerst in GoodLife #185

Deutschland reagiert auf solche Veränderungen gerne mit einem Reflex: der „German Angst“. Statt Chancen zu identifizieren, fokussieren wir uns auf mögliche Risiken. Und verharren so im Status quo. Vielleicht ist das ein Grund, warum von den zehn wertvollsten Technologieunternehmen der Welt gleich neun aus den USA stammen (und eines aus Taiwan). Nur drei deutsche Firmen schaffen es in diesem Ranking überhaupt unter die ersten 100: der Software-Konzern SAP auf Platz 32, gefolgt von Siemens (89) und der Deutschen Telekom (91). Automobilhersteller sind keine darunter. Der Audi-Slogan von 1971 – „Vorsprung durch Technik“ – passt heute eher auf den US-Konkurrenten Tesla: Rang 7 nach Marktkapitalisierung.

Dass US-Präsident Trump die finanziellen und regulatorischen Schleusen öffnet und milliardenschwere Firmenchefs von Elon Musk über Jeff Bezos bis Mark Zuckerberg sich ihm als Partner andienen, kann man zu Recht beklagen. Viel spannender finde ich jedoch die Frage, warum Europa es nicht schafft, eigene Champions auf die Beine zu stellen. Liegt es am schlechten Technologie-Image? Innovationen werden hierzulande oft problematisiert, ihre Nachteile in den Vordergrund gestellt – weil das erfolgreich Ängste schürt und Emotionen mehr Wirkung erzielen als Fakten. In einer sich schnell verändernden Zeit suggeriert das Altbekannte eben Sicherheit. Ergo haben Elektroautos wenig Reichweite. Künstliche Intelligenz vernichtet Jobs. Wärmepumpen sind teuer und ein smartes Zuhause kann gehackt werden. Stimmt alles, bis zu einem gewissen Grad, es ist aber nur die halbe Wahrheit. Und dass Menschen, die beim Surfen grundsätzlich alle Cookies ablehnen, ihre Daten den Konzernen auf Social Media aber reihenweise hinterherwerfen, gehört zu den schizophrenen Verhaltensweisen des Homo Digitalis.

Doch es gibt auch Beispiele, die Mut machen. Den Online-Modehändler Zalando etwa, der gerade seinen Konkurrenten About You aus dem Otto-Konzern übernimmt. Oder die Berliner Direktbank N26, ein Vorreiter für App-basierte Geldgeschäfte mit dem Smartphone. Maschinelle Übersetzungen von DeepL aus Köln lassen die Dienste von Google, Microsoft & Co ziemlich alt aussehen. Voltfang, gerade mit dem deutschen Innovationspreis ausgezeichnet, verhilft in Aachen ehemaligen E-Auto-Akkus zu einem zweiten Leben – als Batteriespeicher für Industrie und Gewerbe. Und dann sind da noch innovative Start-ups wie Bluu Seafood aus Hamburg. Die Hanseaten kultivieren Fischfleisch aus Zellkulturen, als Alternative zum Fang aus überfischten Meeren. Das ist nun wirklich inspirierend und hätte mehr Öffentlichkeit verdient. Selbst wenn dann wieder Populisten aufstehen und schreien: „Jetzt wollen sie uns das Fischessen auch noch verbieten!“