Atmos-Sphären
Ein Streichquartett mit Cembalo, begleitet von Carl Wilsons 12-saitiger Gitarre; dazu Händeklatschen, Schlittenglocken sowie rhythmisches Klopfen auf Plastikbechern. Und über allem die mehrstimmigen Harmonien der Beach Boys. So habe ich „God Only Knows“ noch die gehört. „Der beste Song, der je geschrieben wurde“ – wie Ex-Beatle Paul McCartney ihn einmal bezeichnet hat – klang aber auch noch nie so differenziert. Die Aufnahme, 1966 für das Album „Pet Sounds“ entstanden, wurde ursprünglich in Mono abgemischt. Ein Tribut an Bandleader und Komponist Brian Wilson, der auf dem rechten Ohr fast taub ist. Mit Stereosignalen, die beidseitiges Hören verlangen, kann er wenig anfangen. Darum entstand ein Stereo-Mix von „Pet Sounds“ erst Jahrzehnte später: 1996, zum 30. Jubiläum des Albums.

Was ich beim Schreiben dieser Zeilen höre, ist aber weder Mono noch Stereo, sondern Dolby Atmos. Das dreidimensionale Tonformat hüllt mich ein – und enthüllt dabei Feinheiten, die im Schallplatten-Original eher untergegangen sind. So wie das Klopfen auf zwei umgedrehten Orangensaftbechern, die Wilson und seine Crew im Studio als Instrumente zweckentfremdet haben. Deutlich zu hören ist der Unterschied nur über Kopfhörer oder eine Surround-Anlage, die Dolby Atmos unterstützt. Darum waren Kinogänger und Heimkino-Enthusiasten auch lange Zeit die Einzigen, die in den Genuss des immersiven Sound-Formats kamen. Doch mittlerweile hat die Musikbranche den Raumklang für sich entdeckt. Neben neuen Alben von Billie Eilish oder Lady Gaga erscheinen immer mehr Klassiker in einer Atmos-Version. Nicht auf Tonträgern wie CD oder Vinyl, sondern als Stream. Apple Music geht sogar so weit, den Atmos-Mix nur auf hauseigenen Kopfhörern auszuspielen. Bei Mitbewerbern wie Amazon Music Unlimited oder Tidal eignen sich alle Headphone-Modelle.
Der akustische Trick ist immer derselbe: Dolby Atmos gaukelt unserem Gehör vor, dass Klänge aus verschiedenen Himmelsrichtungen und sogar von oben kommen, obwohl sich das Geschehen nur zwischen zwei Kopfhörern abspielt. Dazu genügen winzige Lautstärke- und Laufzeitunterschiede im Signal, die auch beim natürlichen Hören dem Schallereignis eine Richtung geben. So kommt es, dass ich mit AirPods gerade den Back-Katalog meiner Jugend wiederentdecke. Vom „Piano Man“ (Billy Joel) über Kraftwerks „Autobahn“ bis zu „Thriller“ von Michael Jackson klingt alles vertraut und trotzdem neu. Das mag daran liegen, dass Musik unser limbisches System anspricht und Erinnerungen sowie Emotionen aktiviert. Es könnte aber auch einfach sein, dass die Toningenieure beim Remix dieser Alben neue Atmos-Sphären erklommen haben.