Ist das Kunst oder kann das weg?
So ziemlicher jeder, der sich für den Kunstmarkt interessiert, hat mittlerweile von NFTs gehört. Spätestens seit März 2021 sind „Non Fungible Tokens“ in aller Munde. Damals konnte Christie’s mit der Auktion eines NFT die stattliche Summe von 69 Millionen US-Dollar einstreichen. Objekt der Begierde: eine Collage des amerikanischen Digitalkünstlers Mike Winkelmann, alias „Beeple“. Der Grafikdesigner aus Wisconsin hatte die ersten 5000 Bilder seiner täglichen Posts auf sozialen Medien in einer gemeinsamen JPEG-Datei vereint und per NFT verbrieft. Soll heißen: Es gibt nun ein digitales Echtheitszertifikat, das auf die Datei verweist und als Eigentumsnachweis gilt.
Diese „nicht ersetzbare“ (non fungible) Wertmarke (token) ist in einer sogenannten Blockchain gespeichert, wodurch der Eintrag fälschungssicher wird. Unter Umständen hilft er dabei, Künstlerinnen und Künstler an der Wertsteigerung ihrer Werke zu beteiligen, wenn diese weiterverkauft werden. Es können aber trotzdem Kopien der Originaldatei existieren, sogar beliebig viele. Dank Digitaltechnik sind bekanntlich alle mit der Vorlage identisch und somit besser als jede Reproduktion eines Ölgemäldes. Doch nur ein Exemplar darf sich Original nennen. Als Schutz vor Missbrauch und Betrug taugen diese NFTs also nicht. Jeder Nerd mit Blockchain-Grundkenntnissen kann auf das Duplikat selbst ein Zertifikat anmelden und es dann vermarkten, obwohl er gar nicht Urheber der jeweiligen Kunst ist. Manche NFT-Marktplätze im Internet lassen sich deshalb schriftlich bestätigen, dass die Werke von denen stammen, die sie anbieten – mit einem Zertifikat fürs Zertifikat gewissermaßen. Ohne vertrauenswürdige Quelle, sprich Galerie, geht es wohl auch im Digitalzeitalter nicht.
Das hindert Sammlerinnen und Sammler wenig daran, immense Beträge auszugeben. Prominente wie Eminem, Gwyneth Paltrow, Madonna und Snoop Dogg mischen in der Szene mit, unterstützt von Krypto-Influencern, die ihren Followern das große Geld versprechen. Die verwendete Blockchain-Technologie stammt aus dem Finanzsektor – Krypto-Währungen wie der Bitcoin arbeiten damit – und scheint auch Investoren dahin gehend zu beflügeln. Affenbildchen des Bored Ape Yacht Club (BAYC) gehen für mehrere Zehntausende Dollar über den virtuellen Ladentisch – in der Hoffnung, der Wert möge steigen. Dass es auch in die entgegengesetzte Richtung laufen kann, zeigt das Beispiel von Sina Estavi. Der Krypto-Unternehmer iranischer Herkunft ersteigerte 2021 ein NFT des ersten Tweets von Twitter-Gründer Jack Dorsey für 2,9 Millionen Dollar. Ein Jahr später wollte er den Screenshot wieder verkaufen und legte das Mindestgebot auf 48 Millionen Dollar fest. Der Deal kam nie zustande. Zum Zeitpunkt dieser Kolumne, im September 2022, steht das Höchstgebot auf 17 US-Dollar und 35 Cent.
Kunst nur dann zu kaufen, wenn sie einem gefällt, war schon immer ein guter Tipp. Für NFTs, die häufig Spekulationsobjekte sind, gilt er besonders. So bleibt im Falle eines Totalverlusts immerhin ein digitales Bild oder ein Video, das sich anzuschauen lohnt. Es muss ja nicht auf einem NFT-Display wie dem Lago Genesis Frame sein, das alleine schon mit 4.500 US-Dollar zu Buche schlägt (Bild). Der Smart-TV an der Wand oder ein Computer-Monitor tun’s auch. Bleibt das Problem des ökologischen Fußabdrucks: Um die weltweite Ethereum-Blockchain der Krypto-Währung Ether am Laufen zu halten, auf der viele NFTs basieren, sind große Mengen Energie nötig. Der geschätzte Jahresverbrauch lag bislang bei fast 100 Terawattstunden, was rechnerisch einem CO₂-Ausstoß von 52 Millionen Tonnen oder dem Äquivalent von Griechenland entspricht. Mit mehr erneuerbaren Energien wird dieser Wert sinken. Außerdem stellt Ethereum gerade auf eine effizientere Technologie um, die den Stromverbrauch um 99 Prozent senken soll. Damit würde die Spekulation mit NFTs zumindest nicht mehr auf Kosten des Klimas gehen.